«Ein Leben für den Sport»

Manfred Liechti

Martin Berthod ist seit 1981 oberster Eventmanager von St. Moritz und gleichzeitig Rennleiter der Ski-WM 2017. Mit seiner Crew von «Sports & Events» unter dem Dach von St. Moritz Tourismus betreut er jedes Jahr rund 200 Veranstaltungen. Berthod hat massgeblich dazu beigetragen, dass St. Moritz heute im Ski-Zirkus eine wichtige Rolle spielt. Im Interview schaut er auf 36 Jahre Eventorganisation im Engadin zurück.

Martin, man kann dich wohl zurecht eine «lebende Legende» bezeichnen. Seit wann bist du in St. Moritz tätig?
(lacht) Seit dem 13. April 1981, also rund 36 Jahre.

Bei wie vielen Anlässen hast du während dieser Zeit die Finger im Spiel gehabt?
Schwierig zu sagen, ca. 200 Events pro Jahr laufen über unser Büro. Und bei den meisten habe ich irgendwann einmal etwas entscheiden müssen.

Du kommst ursprünglich aus dem Berner Oberland. Was hat dich ins Engadin verschlagen?
Vor meiner Zeit hier habe ich den gleichen Job in Grindelwald gemacht. St. Moritz faszinierte mich aber schon damals wegen den vielfältigen Sportmöglichkeiten, die es hier gibt. Bei einem Skirennen in Saas-Fee erfuhr ich, dass der damalige St. Moritzer Sportsekretär gekündigt hatte. Als ich Zuhause war, schrieb ich sofort eine Bewerbung für den Job.

Offensichtlich mit Erfolg. Kannst du dich noch an deinen ersten Arbeitstag erinnern?
Ja, mein Vorgänger Chris Forster hat mich am ersten Arbeitstag eingeführt. Ich kann mich noch genau erinnern, dass wir im Büro Cervelats gebraten haben – auf einem Holzkohlegrill! Es hat unglaublich gestunken, aber die Events haben in St. Moritz damals schon gelebt... (lacht).

Seither sind 36 Jahre vergangen und du bist St. Moritz die ganze Zeit treu geblieben. Eigentlich unglaublich im schnelllebigen Eventbusiness. Wie schafft man das?
Ich hatte immer wieder ein neues, grosses Ziel vor Augen und bin von Event zu Event gerutscht, den ich unbedingt noch erleben wollte. Zuerst kamen eine Bob-WM und Engagements im Bobverband. Dann ging ich eines Tages zu Kurdirektor Hans Peter Danuser und sagte ihm, dass in St. Moritz bezüglich Skisport nichts mehr liefe und wir nach der Ski-WM 1974 unbedingt wieder einen grossen Anlass organisieren sollten. Ich konnte die entscheidenden Leute für eine Ski-WM-Kandidatur hinter mich bringen und so kamen der Reihe nach wieder Europacuprennen, Skiweltcuprennen und schliesslich 2003 wieder eine Ski-WM nach St. Moritz.

Inwiefern hat das St. Moritzer Umfeld zu deinem langen Engagement beigetragen?
Sehr stark. Man findet hier ein geniales, einzigartiges Umfeld vor. Ich habe in all den Jahren so viele inspirierende Leute kennengelernt, die immer wieder neue Impulse ausgelöst haben. Das hat für mich schon immer den Reiz von St. Moritz ausgemacht. Neben dem Fakt natürlich, dass es hier einfach schön zum Leben ist

Und trotzdem – wie hält man es aus, 36 Jahre Events zu veranstalten?
Das habe ich mich manchmal auch gefragt! (lacht) Es gibt mit der Zeit schon Abnützungserscheinungen, aber ich habe die Motivation nie verloren, weil immer wieder etwas Neues kam. Alt-Kurdirektor Hans Peter Danuser hatte pro Tag 100 Ideen. Davon waren jeweils zehn einigermassen brauchbar und eine hervorragend. Zum Beispiel initiierte er den Engadin Inline Marathon. Am Anfang war es unvorstellbar, die ganze Strasse über 42 Kilometer zu sperren, am Schluss ist ein sensationeller Anlass daraus geworden.

Was hat sich in der Eventveranstaltung gegenüber früher verändert?
Die Anforderungen sind bedeutend höher geworden, vor allem bezüglich der Sicherheit. Wegen dem Haftungsrisiko sitzt man bei grossen Veranstaltungen wie einer Ski-WM immer mit einem Bein im Gefängnis. Wenn ich schaue, was wir hier am Berg alles machen, um Skiweltcuprennen oder eine Ski-WM zu ermöglichen, dann ist das schon gewaltig und für den Laien kaum vorstellbar.

Wann bist du zufrieden mit einem Event?
Wenn die Teilnehmer zufrieden sind. Das ist das Wichtigste.

Du hast bestimmt schon ganz spezielle Events während deiner Karriere veranstaltet. Welcher war der speziellste?
Da gab es einige. Speziell erwähnenswert ist vielleicht der Event «Dangerous Sports of Great Britain» Ende der 80er Jahre auf Corviglia. Die einzige Regel bei diesem Rennen war, dass alles erlaubt war. So sind die allesamt britischen Teilnehmer mit 8er-Ruderbooten, Klavieren oder Rollstühlen den St. Moritzer Hausberg runtergedonnert. Das eigentliche Highlight war, dass sie mit einem Doppeldeckerbus aus London runterfahren wollten, an dem Skis und ein Bremsfallschirm mit Sprengkörper montiert waren. Bei einem Testversuch überschlug sich der Bus und wir mussten ihn mit einem Kran wieder aufstellen. Damit war das Thema erledigt. (lacht)

Heute wäre ein solcher Anlass in St. Moritz nicht mehr vorstellbar?
St. Moritz war schon immer speziell. Hier ist das möglich, was vielleicht andernorts nicht vorstellbar ist, auch wenn sich die Zeiten etwas geändert habenSt. Moritz war schon immer speziell. Hier ist das möglich, was vielleicht andernorts nicht vorstellbar ist, auch wenn sich die Zeiten etwas geändert haben. Die oben genannten Engländer zum Beispiel, hatten auch abends Spass. Ich erinnere mich, dass mich damals die Polizei um vier Uhr morgens aus dem Bett geklingelt hat, weil die Eventteilnehmer im damaligen Grand Hotel des Bains so lange am Kronleuchter in der Lobby baumelten bis dieser runter viel. Solche Geschichten gibt’s heute aber in der Tat nicht mehr. (lacht)

Was ist dir in St. Moritz speziell ans Herz gewachsen?
Der Cresta Club. Der Club hat so viele unterschiedliche Mitglieder aus allen Ländern und sozialen Schichten und pflegt einen unglaublichen Zusammenhalt. Man trifft sich auf der ganzen Welt – in St. Moritz, London, New York, Kapstadt oder Hong Kong.

Mit 140 km/h den Cresta Run hinunterdonnern, macht das auch Martin Berthod?
(lacht) Ja, auch wenn ich in den letzten Jahren wegen der Unfallgefahr nicht mehr gefahren bin. Ich bin aber immer noch Clubmitglied.

Noch besser als Cresta bist du Ski gefahren – und zwar auf höchstem Niveau.
Ja, vor hundert Jahren! (lacht) Ich möchte die Zeit als Skirennfahrer nicht missen. Leider habe ich es verpasst, an den Olympischen Winterspielen 1976 in Innsbruck teilzunehmen. Ich musste in Kitzbühel ein Ausscheidungsrennen gegen meinen Bruder fahren. Er wurde Zwölfter, ich Dreizehnter. Oben hatte ich über eine halbe Sekunde Vorsprung, dann beging ich in der letzten Kurve einen Fehler und verlor viel Zeit. Im Ziel war ich einige Hundertstel hinten. Damals dachte ich noch nicht, dass meine Skikarriere zu Ende war – wegen Knieproblemen kam es aber kurz danach dazu.

Dafür hast du Jahre später deine Karriere als Renndirektor von Skirennen lanciert. Auch an der Ski-WM 2017 bist du für die Rennen verantwortlich. Wie würdest du die St. Moritzer WM-Pisten bezeichnen?
Ich hatte früher das Gefühl, sie seien vielleicht etwas einfacher als in anderen Weltcuporten, vor allem in der Disziplin Abfahrt. Mittlerweile können wir aber die Pisten mit Sprüngen und Geländeübergängen so gestalten, dass sie auch für die Abfahrtsfahrer nicht nur äusserst attraktiv, sondern auch sehr herausfordernd sind. Viele Abfahrer sagen sogar, wir hätten hier die schönsten Pisten im ganzen Skizirkus, weil diese so gut ins Gelände eingebettet sind.

Auf was dürfen sich die Fans an der Ski-WM 2017 besonders freuen?
Das Publikum sieht in St. Moritz vom Ziel aus praktisch die ganze Strecke, das gibt es sonst fast nirgends. Ein Highlight wird bestimmt die Herrenabfahrt, für die es schon jetzt keine VIP-Tickets mehr gibt. Dann werden die beiden Riesenslaloms sehr anspruchsvoll. Darüber hinaus wird die Stimmung im Dorf und bei den Siegerehrungen einmalig sein. Das muss man erlebt haben.

Wie viele Medaillen gewinnen die Schweizer?
Ich bin optimistisch und sage sechs! Es kommt ganz drauf an, wie der Super-G anfängt, da setze ich auf Beat Feuz.

2018 erreichst du das Pensionsalter. Was macht Martin Berthod im Ruhestand, wenn er es sich gewöhnt ist, 24 Stunden pro Tag und 7 Tage die Woche im Einsatz zu stehen?
Ich werde wieder selbst vermehrt Sport treiben – Skifahren, Rudern auf dem St. Moritzersee, Curling und Golf spielen, Mountainbiken. Und vielleicht fang ich auch mit Crestafahren im Eiskanal wieder an!