Ein Mann, ein Berg – eine ganz besondere Beziehung

Wenn Hans Pieren daheim in Adelboden am Küchentisch sitzt und seinen Blick über den Hang schweifen lässt, dann ist das zwar ein alltäglicher, aber dennoch ein ganz besonderer Moment.

Hans Pierren
Hans Pierren

„Ich kann vom Start bis ins Ziel und ungefähr 98 Prozent der Strecke sehen“, sagt jener Mann, der seit 1994 als Rennleiter am Chuenisbärgli arbeitet. Nicht nur mehr als zwei Jahrzehnte mit der Verantwortung für eine weltcuptaugliche Piste machen das Verhältnis zwischen Mann und Berg aus, der bald 56 Jahre alt werdende Hans Pieren und sein Chuenisbärgli sind eng miteinander verbunden. „Das Chuenisbärgli hat mich geprägt und ist etwas sehr Zentrales in meinem Leben“, sagt er. „Wenn ich in der Zeit als Rennfahrer auf der schwierigen Piste mit den vielen Übergängen und Geländewechseln beim Fahren ein gutes Gefühl gehabt habe, so war ich sicher, dass die Form stimmt.“

Hier, auf einem der schwierigsten Riesenslalomhänge des Weltcups, hat Hans Pieren das Skifahren gelernt, am 19. Januar 1982 seinen ersten Weltcup-Riesenslalom gefahren, als 15. sogleich die ersten Punkte gewonnen und gut zehn Jahre später in seiner stärksten Weltcup-Saison als Zweitplatzierter seinen dritten und letzten Podestplatz der Karriere geholt. Er ist als junger Mann im Sommer trainingsmässig den Berg rauf und runter gerannt, hat als Kind seinen „Spielplatz“ quasi vor dem Haus gehabt und ist im Winter seine ersten Rennen gefahren, nützt die Umgebung heute als Bike- oder Joggingstrecke und kennt jeden Stein und jeden Baum an und neben der Piste, die auf 1730 Metern Höhe beginnt und nach rund 1430 Metern Streckenlänge auf 1294 Metern über Meer endet.

Zum Sieg auf seiner Hausstrecke hat es dem Weltcup-Fahrer Pieren nicht gereicht. Ein Wermutstropfen? „Ich muss dem Chuenisbärgli nicht verzeihen, dass ich nie ganz oben gestanden bin. Der Berg kann ja nichts dafür, dass immer mindestens einer schneller war als ich. Immerhin durfte ich 1992 hinter Ole Christian Furuseth Zweiter werden. Dass ich nicht im Stande gewesen bin zu gewinnen, war mein Fehler, nicht die Schuld des Berges.“ Ein bisschen „wurmen“ tut Hans Pieren dieser zweite Platz aber schon. Im Normalfall habe er immer in den flachen Passagen Zeit verloren und sei im steilen Gelände schnell gewesen, erzählt er. „Ausgerechnet 1992 war es genau umgekehrt. Aber ich bin absolut im Reinen mit mir, mit dem Berg und mit meiner Karriere als Rennfahrer – erzwingen lässt sich nichts.“

Die sportliche Karriere, und damit auch Pierens Hausberg, waren die Türöffner für die berufliche Zukunft des Adelbodners. Neben seiner Tätigkeit als Rennleiter der Adelboden-Rennen und nach der Zeit als Servicemann hat Pieren einen Online-Versandhandel für die Skipräparation und den Rennsport ins Leben gerufen. Daneben ist das grosse Know-how des ehemaligen FIS-Renndirektors immer noch gefragt. Nach den Weltcup-Rennen in Adelboden und dem Slalom von Wengen wird Pieren in Südkorea erwartet. Der Berner Oberländer wird tatkräftig mithelfen, damit im Februar die Pisten im Yongpyong Ski Ressort würdige Rennen um die Olympiamedaillen zulassen.

„Der Schneesport und das Chuenisbärgli sind mein Leben“, sagt Hans Pieren. In seinen Worten liegt kein Pathos, aber ehrliche Freude, viel Begeisterung und vielleicht ein Hauch Genugtuung und Stolz. Das Chuenisbärgli hat viel für Hans Pieren getan. Umgekehrt aber hat er seinem Berg über die Jahre hinweg auch viel zurückgegeben. Denn als Adelboden Mitte der 1990er-Jahre das Aus im Weltcup gedroht und die Konkurrenz aus dem Wallis und im Bündnerland konkret auf den Termin im Weltcup-Kalender geschielt hat, erbrachte Pieren mit FIS- und Europacup-Rennen den Beweis, dass das Chuenisbärgli auch anspruchsvolle Slaloms zulässt. Mit zwei Rennen am Wochenende statt nur eines Riesenslaloms an einem Wochentag war die Zukunft von Adelboden als Weltcuport gesichert. „Es ist und bleibt eine Herausforderung für das OK, wie wir die Rennen finanziell auf gesunde Füsse stellen und sie langfristig dort behalten können. Der Aufwand, den wir hier in Adelboden betreiben, ist riesig. Aber die Rennen sind – auch in wirtschaftlicher Hinsicht – ein wichtiger Motor für die Region und weit über diese hinaus. Das ganze Tal, eine ganze Region, das Berner Oberland und der Skisport in der Schweiz profitieren von unserer Arbeit.“

Wenn sich am 6./7. Januar die besten Riesenslalom- und Slalom-Fahrer der Welt messen, dann steht das Chuenisbärgli wieder im Zentrum. Und später, abseits des Rampenlichts, wird sich Hans Pieren still darüber freuen, dass dank vieler Arbeitsstunden alles funktioniert hat und Adelboden und sein Chuenisbärgli wieder die perfekte Bühne für ein tolles Skifest haben bieten können. Und wenn er am 8. Januar wieder aus dem Küchenfenster schaut und den Blick über den Rennhang schweifen lässt, dann wird er insgeheim an die Weltcup-Rennen im Januar 2019 denken.

 

Text/Bild: Peter Gerber Plech