«Zwei, drei Medaillen sind realistisch»

Thomas Stauffer

Wir haben Thomas Stauffer, den Cheftrainer der Schweizer Alpin-Männer, anlässlich des Skiweltcup-Finals Mitte März in St. Moritz getroffen. Im Interview erzählt er uns alles über die WM-Vorbereitungen der Schweizer und ihre Medaillenchancen.

Thomas Stauffer, noch ziemlich genau ein Jahr bis zur Ski-WM 2017 hier in St. Moritz. Spürst Du schon eine gewisse Anspannung?

Nein, wir haben ja schon diesen Winter angefangen zu planen und überlegen uns zurzeit, wie wir uns im Sommer auf die WM vorbereiten. Auch im Hinblick auf unsere Verletzten.

 

Welche Meilensteine gibt es bis dahin?

Keine besonderen, wir müssen nächste Saison zuerst alle Weltcuprennen vor der WM fahren. Ich hoffe, dass unsere Athleten dann schon vorne dabei sein werden – damit alle mit einem guten Gefühl hierher kommen.

 

Sind die Schweizer im Moment auf Kurs?

Dafür hatten wir zu viele Verletzte. Auf diese müssen wir individuell eingehen, damit sie nächste Saison bereit sind, sich in der Startreihenfolge rasch nach vorne arbeiten und an der WM parat sind.

 

Ist, abgesehen von den Verletzten, die Vorbereitung eines WM-Winters speziell?

Wir haben jeweils drei Jahre nacheinander ein Grossereignis: Auf eine WM folgen in der Regel Olympische Spiele und danach wieder eine WM. Nur jeweils im vierten Jahr werden keine Medaillen vergeben. Deshalb sind wir es gewöhnt, auf ein Grossereignis hinzuarbeiten.

 

Eine Heim-WM ist dennoch etwas Besonderes.

Ja sicher, wir fahren vor eigenem Publikum, die Fanclubs sind auch alle da. Von dem her haben wir einen gewissen Heimvorteil. Auch weil wir sämtliche Abläufe kennen und wissen, wie alles in der Schweiz funktioniert. Darüber hinaus reisen wir von Zuhause an, ganz ohne Jetlag. Wir haben also Vorteile, diese schüren aber auch gewisse Erwartungen.

 

Es ist bereits die fünfte Ski-WM in St. Moritz. Kann kein anderer Schweizer Ort eine WM austragen?

Es gibt sicher andere Schweizer Orte, die vom Können und von der Infrastruktur her eine Ski-WM austragen könnten. In St. Moritz hat der Profisport vielleicht einen höheren Stellenwert als anderswo. Man merkt, dass die Einheimischen voll hinter der WM stehen. Vielleicht ist das das Erfolgsrezept von St. Moritz.

 

Es sind nicht Deine ersten Rennen in St. Moritz.

Nein, im Damenkalender ist St. Moritz seit der Ski-WM 2003 eine fixe Etappe. Deshalb war ich seither fast jedes Jahr einmal hier. Und 2003 hab ich das US-Team an der WM betreut.

 

Ausserdem warst Du für die Schweden und die Deutschen tätig. Welche Unterschiede hast Du dabei angetroffen?

Das sind drei Nationen mit drei verschiedenen Mentalitäten. Während es bei den Amerikanern mehr ums Drillen und Pushen geht, achten die Schweden auf ein gutes Teamgefühl und haben einen ausgeprägten Teamzusammenhalt. Bei den Deutschen geht es eher nüchtern zu und her. Im Vordergrund stehen qualitativ gute Trainings.

 

Und wie würdest Du die Schweizer beschreiben?

Die Schweizer haben von allen oben genannten Nationen etwas. Sie sind individuell, aber nicht zu sehr. Der Teamzusammenhalt ist gut, aber nicht so ausgeprägt wie bei den Schweden. Und sie sind weniger drillmässig als die Amerikaner unterwegs.

 

Anja Paerson hat einmal gesagt, es gäbe keinen Trainer im Weltcup, der die Dinge so im Griff hat wie Thomas Stauffer. Wie hast Du Dir ein solches Lob verdient?

Das weiss ich auch nicht, im Moment bin ich die nächste Saison am Planen. Und da hab ich längst noch nicht alles im Griff! (lacht)

 

Was sagen Deine Athleten zu den Pisten hier in St. Moritz? 

Wir haben noch nicht viel über die Pisten gesprochen. Es gibt aber sicher einige Schlüsselstellen. Zum Beispiel die Steilwandkurve im Super-G. Und wir haben hier viele Sprünge. Deshalb ist es wichtig, dass man das Terrain und jede Welle kennt – das wird besonders bei schlechtem Licht entscheidend sein.

 

Mit dem «Freien Fall» bietet St. Moritz den steilsten Abfahrtsstart der Welt. Ist er nur ein Marketing-Gag oder wirklich eine Herausforderung für die Athleten?

Der Start ist bei jedem Rennen wichtig. Hier haben wir etwas Spezielles, was es sonst nicht gibt. In Bever Creek war dieses Jahr der Start auch besonders, da war es nach dem Start lange flach. Man musste sich speziell dafür vorbereiten und das muss man hier auch.

 

Also ist er keine wirkliche Herausforderung für die Athleten.

Ich glaube nicht. Wenn man in Kitzbühel mit vollem Tempo in einen eisigen Steilhang hineinfährt, ist das nochmals etwas ganz anderes.

 

Können die Schweizer eigentlich vor der WM auf den St. Moritzer Pisten trainieren?

Wir kommen diesen Frühling ein paar Tage hierher, um Video-Aufnahmen zu machen. Ich weiss nicht, ob wir nächsten Winter dann Zeit haben werden, nochmals zurückzukommen. Der Rennkalender ist dicht gepackt und es würde keinen Sinn machen, ein Weltcuprennen für eine Trainingseinheit auf den WM-Pisten auszulassen.

 

Wie geht die Selektion für die WM vor sich?

Den genauen Modus erarbeiten wir im Sommer, es sind aber keine Überraschungen zu erwarten. Das Ziel ist wie immer, dass wir die Besten in jeder Disziplin hier am Start haben.

 

Du betonst, dass Ruhe die Basis ist, um den Fokus auf die Arbeit zu legen. Was machst Du konkret, um Ruhe ins Schweizer Lager zu bringen?

Ruhe setzt ein gewisses Vertrauen zwischen den Athleten und Trainern voraus. Wir möchten zusammen das Maximum aus unseren Möglichkeiten herausholen. Wenn das alle sehen, entwickelt sich automatisch eine Ruhe, die einen gut arbeiten lässt. Aber wir können auch in dieser Beziehung nächstes Jahr besser werden.

 

An der letzten Heim-WM im 2003 landete die Schweiz in der Nationenwertung bloss auf dem 6. Platz. Wie viele Medaillen holen die Schweizer 2017?

Wenn alle Verletzten zurückkommen, liegt sicher einiges drin. Wir müssen auf unsere Top-Cracks setzen und diese möglichst gut vorbereiten. Diese sind alle fähig, eine Medaille zu holen. Wir wissen aber auch, dass es immer zwei, drei Versuche braucht. Zwei, drei Medaillen sind realistisch.

 

Von Fabrizio D'Aloisio, St. Moritz

 

10 Facts über Thomas Stauffer

  • Redet für einen Berner erstaunlich schnell.
  • Ein normaler Bürojob ist nichts für ihn – obwohl er studierter Bauingenieur ist.
  • Schläft ca. 100 Mal pro Jahr in seiner Wohnung in Unterlangenegg.
  • Fährt ausschliesslich Audi.
  • Hat ein Konto bei der Raiffeisen-Bank.
  • Die letzte Sport-Veranstaltung ausserhalb des Skizirkus', die er besucht hat, war ein Eishockeyspiel des SC Bern.
  • Hört am liebsten Country-Rock.
  • Schaut nur Zuhause TV, dann am liebsten eine Krimiserie.
  • Seinen letzten Kinofilm hat er vergessen.
  • Findet, dass ein guter Cheftrainer vor allem Vertrauen aufbauen muss.
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