Hanspeter Gubelmann kämpft für die Entstigmatisierung der Sportpsychologie
Sieg oder Niederlage – der Kopf entscheidet mit. Hanspeter Gubelmann ist Sportpsychologe und weiss über die Wichtigkeit der mentalen Verfassung Bescheid. Sein wichtigstes Werkzeug in der Arbeit mit Sportlerinnen und Sportler ist das Gespräch.
Die Sportpsychologie ist keine der steten Professionalisierung des Spots oder dem Erfolgsdruck geschuldete Erfindung des 21. Jahrhunderts. Dennoch wird dieser Teil der ganzheitlichen Betreuung von Athletinnen und Athleten in der Schweiz erst seit dem Februar 2002 von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Es waren die goldenen Tage des Simon Ammann. Nach den Olympiasiegen von der Normal- und von der Grossschanze wurde der Rummel um den damals 20 Jahre alten Toggenburger enorm und ein Mann bekam Arbeit und wurde zu einer Art Manager: Mentaltrainer und Sportpsychologe Hanspeter Gubelmann. Er war Berater im Hintergrund und Schutzschild für den Athleten als alle Welt vom zu grosser Berühmtheit gelangten Ammann ein Interview oder die Präsenz an einem Anlass wollte. „Jörg Wetzel oder der ehemalige Fussballer Lucio Bizzini waren zu dieser Zeit auch als Sportpsychologen tätig. Sie waren aber nicht so in der Öffentlichkeit positioniert wie ich es nach Salt Lake City war. Die Sportpsychologie aber ist keine Erfindung der 2000er-Jahre, sie hat in der Schweiz eine lange Tradition, ist während Jahren jedoch eher in der Trainerausbildung und weniger in der Athletenbetreuung eingesetzt worden“, sagt Gubelmann, der 2002 als erster Sportpsychologe ein Schweizer Team zu Olympischen Spielen begleiten konnte. Im Sog von Simon Ammanns Erfolgen ist auch Hanspeter Gubelmanns Bekanntheitsgrad in der Schweiz gestiegen und die Sportpsychologie ist medial entdeckt worden.
Der Kontakt zu Simon Ammann ist bis heute nicht abgerissen, ist jedoch nicht mehr so intensiv. Hanspeter Gubelmann, der auch als Autor auf der Plattform www.diesportpsychologen.de aktiv ist, betreut als Fachpsychologe für Sportpsychologie heute andere Sportlerinnen und Sportler – unter anderem den derzeit verletzten Slalomspezialisten Reto Schmidiger. In den 16 Jahren seit Salt Lake City sei neben dem Sport an sich auch die Sportpsychologie professionalisiert worden, sagt Gubelmann. „In der Trainerausbildung gehört die Sportpsychologie zu den Schwerpunkten und für die Medien ist diese Arbeit ein wichtiges Thema geworden. Letzteres nicht zuletzt dank den Athletinnen und Athleten, die viel offener darüber sprechen, zu Ängsten oder depressiven Phasen in der Karriere stehen oder schon vor der #MeToo-Debatte stattgefundene Übergriffe öffentlich gemacht haben.“ Die Bandbreite der Themen innerhalb der Sportpsychologie sei deutlich gewachsen und in den Verbänden sei die Arbeit der Psychologen als unverzichtbarer Teil der angestrebten Leistungsentwicklung akzeptiert worden. „Der innere Zirkel des Sports, also die Athletinnen und Athleten, Trainerinnen und Trainer und die Funktionärinnen und Funktionäre treten dem Bereich aufgeschlossener und interessierter gegenüber als vor 20 Jahren. Aber ganz grundsätzlich tut sich die Schweiz noch immer schwer damit, die Psychologie im Alltag – und damit die Sportpsychologie – nicht nur im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung zu akzeptieren. Die USA oder die skandinavischen Länder gehen deutlich unverkrampfter damit um.“ Junge oder jüngere Sportarten oder Trainerinnen und Trainer tun sich laut Gubelmann leichter, in andern Sportarten bestehe laut dem Hergiswiler aber noch Nachholbedarf. „Aus Unkenntnis wird die Sportpsychologie noch zu oft als unnötig erachtet. Es gibt also noch einige Hausaufgaben zu erledigen
Gubelmann arbeitet in seinem Fachbereich gemeinsam mit den Sportlerinnen und Sportlern an deren Leistungsoptimierung. Daneben begleitet er Athletinnen und Athleten längerfristig und nimmt Einfluss auf die Persönlichkeits- und Karriereentwicklung. Aber auch die Arbeit mit Verletzten auf dem Weg zurück nimmt einen wichtigen Stellenwert ein. „Die mentale Rehabilitation bei Sportverletzungen ist zentral. Verschiedene Massnahmen verfolgen hier das Ziel, dass die Sportlerin oder der Sportler im Vergleich zum Zeitpunkt der Verletzung stärker zurückkehren kann. Das in den sozialen Medien oft gelesene ‚come back stronger’ ist keine Floskel. Die Sportpsychologie soll und kann die physische Rehabilitation kompetent unterstützen und diese im besten Fall verkürzen. Der Athlet oder die Athletin soll die Verletzungszeit als Chance nützen können.“ Gubelmann unterstützt aber auch dann, wenn die Verletzung eine Fortsetzung der Karriere nicht zulässt. Die individuelle Begleitung in die Zeit nach dem Spitzensport sei wichtig und dürfe nicht unterschätzt werden, legt der Zentralschweizer grossen Wert auf diesen Bereich.
Der alpine Skisport bringe höchste Herausforderungen an die Psyche der Sportlerinnen und Sportler mit sich, sagt Hanspeter Gubelmann. „Kälte, Startverschiebungen, Kurssetzung, Tempo, Überwindung – der Psychologe muss abklären, wie stabil sein Klient/seine Klientin ist, wo die Stärken liegen und welche Unterstützung er oder sie genau benötigt. Es dreht sich zum Beispiel um die Aktivierung, die Konzentration, die Wahrnehmung oder andere kognitive Abläufe vor dem Start in ein Rennen. Dabei unterscheidet sich die Arbeit vor dem Start zu einer Abfahrt deutlich von der Arbeit im Vorfeld eines Slaloms.“ Dass der Skirennfahrer Einzelsportler innerhalb eines Teamgefüges sei, mache die Voraussetzung noch zusätzlich besonders. „Die einfachste Frage ist noch, wer mit wem ein Zimmer teilt. Danach aber wird es komplexer. Anhand der Signale die ein Athlet/eine Athletin bereits drei, vier Tage vor dem Wettkampf in seinem Umfeld aussendet, lässt sich vieles ablesen. Die reine Wohlfühl-Oase muss nicht sein aber es ist wichtig, dass innerhalb eines Teams das Umfeld so gestaltet wird, dass der Athlet/die Athletin die bestmögliche Leistung erbringen kann.“ Es sei auch eine Frage der notwendigen Sozialisation, hält Gubelmann fest. Während der Boxer tendenziell ein Egoist oder der Unihockeyaner sehr anpassungsfähig sein müsse, so brauche der Skirennfahrer/die Skirennfahrerin die Anteile beider Extreme.
Der Spitzensport mit all seinen begleitenden Faktoren – im Skirennsport zum Beispiel auch die Frage nach einem Materialwechsel (Stichwort Vertrauen) – könne für Athletinnen und Athleten belastend sein oder zu einer Überforderung führen, erklärt Gubelmann, der seine Kernkompetenzen in den Bereichen von Work-Life-Integration, Gesundheit und Leistungsfähigkeit, Umfeldmanagement sowie Leadership und Teamentwicklung sieht. „Die Anforderungen im Spitzensport werden bestimmt nicht kleiner und das Thema Sportpsychologie wird an Bedeutung noch gewinnen.“ Gubelmann spricht, wenn er an die Zukunft denkt, von einer schwierigen Gratwanderung. „Natürlich hoffe ich, dass die Sportpsychologie immer mehr entstigmatisiert und so zum alltäglichen Thema wird. Sie darf aber nicht zu einer (medialen) Nabelschau und dadurch banalisiert werden. Denn dafür ist sie ganz einfach zu wichtig.“
Peter Gerber Plech