Petra Eberle: „Ein Spitzensportler muss auch ein Schlitzohr sein“

Sie packt zu, schaut genau hin und bildet aus. Petra Eberle hat sich in der von Männern dominierten Welt der Ski-Trainer längst etabliert und sorgt dafür, dass immer neue Talente aus der Ostschweiz in die Kader von Swiss Ski aufsteigen.

Petra Eberle

Am 1. Juni 2015 hat Petra Eberle die Leitung des Nationalen Leistungszentrums Ost (NLZ Ost) in Davos übernommen. Die drei Ausbildungsstätten in Brig (West), Engelberg (Mitte) und Davos (Ost) koordinieren Leistungssport mit Schule/Beruf so, dass die besten Athletinnen und Athleten der jeweiligen Region die Chance haben, sich für die Kader von Swiss Ski qualifizieren zu können. Als Leiterin des NLZ Ost ist die 46 Jahre alte Petra Eberle Pädagogin, Trainerin und Organisationstalent. „Ich lege gemeinsam mit den sechs Trainern im NLZ die Schwerpunkte fest und bin stark im administrativen Bereich tätig. Aber ich will vor allem möglichst oft auf dem Schnee sein. Das ist wichtig, weil ich die Athletinnen, die Athleten und die Trainer im Training und bei den Rennen wahrnehmen will. Ich will nicht im Frühjahr vom Schreibtisch aus und anhand nackter Resultate und Zahlen irgendwelche Selektionen vornehmen.“ Damit nimmt Petra Eberle, selber einst Mitglied des B-Kaders im Schweizer Skiverband und später als Athletin auf der US-Profitour unterwegs, die ihr übertragene Verantwortung für künftige Ski-Karrieren ernst. Nach ihrer Zeit als aktive Skirennfahrerin hat sie sich zur Verbandstrainerin ausbilden lassen. Die Vergangenheit als aktive Rennfahrerin und als Trainerin hilft Eberle nun, sich in leitender Funktion in die Rolle der Betroffenen einfühlen zu können.

Beim eigenen Aufstieg bis ins B-Kader sei sie in den 1970er- und 1980er-Jahren im Klub oder später durch den nationalen Skiverband auch gut unterstützt und begleitet worden, sagt sie. „Klar, heute ist alles noch professioneller und dank Dingen wie Karriereplanung, Sportgymnasien, sportpsychologische oder ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse noch breiter geworden. Eines aber hat zu meiner Zeit genau so gegolten wie es das noch heute tut: ohne Leidenschaft für den Skirennsport geht gar nichts.“ Und diese Leidenschaft lebt Petra Eberle vor, mit gutem Grund: „Ich will Ende Saison in den Spiegel schauen und zu mir sagen können: Petra, du hast alles gegeben und die jungen Sportlerinnen und Sportler auf ihrem Weg unterstützt.“

Petra Eberle sitzt – wenn auch nicht alleine und durch Swiss Ski und ihre Trainer im NLZ Ost getragen – an einer wichtigen Schnittstelle. Denn im NLZ kann sich die Zukunft eines jungen Athleten oder die einer Nachwuchsathletin entscheiden. Im optimalen Fall steigt man aus dem NLZ in eines der Kader von Swiss Ski auf. Petra Eberle muss in ihrer Funktion als NLZ-Leiterin aber auch Hoffnungen knicken oder sogar zerstören. „Dank laufenden Standortbestimmungen und Gesprächen während der Saison sind die Sportlerinnen und Sportler stets im Bild darüber wo sie stehen. Wenn also im Frühjahr der Selektionsentscheid gefällt wird kommt das nicht völlig überraschend. Das ist nicht nur für die Athletinnen und Athleten wichtig. Mir fällt die Kommunikation eines negativen Entscheides um einiges leichter, wenn dieser für die Betroffene oder den Betroffenen nicht aus heiterem Himmel kommt.“ Als aktive Sportlerin hat sie gelernt Entscheidungen von Dritten zu akzeptieren, als Trainerin – die Ostschweizerin hat sich zwecks Horizonterweiterung in der Schweiz und in Österreich zur Verbandstrainerin ausbilden lassen – hat sie gelernt, unpopuläre Entscheidungen nicht nur zu treffen, sondern zu diesen auch zu stehen und sie zu vertreten. „Es geht immer um die Sache, nie um Sympathien oder falsche Geschenke. Ehrlichkeit ist die Voraussetzung damit ein Sportler ein im ersten Moment hartes Nein akzeptieren kann.“ Dem Nachwuchs den ultimativ schnellen Schwung zwischen den Toren vorzeigen könne sie wegen der Arthrose im Knie nicht mehr. Das sei aber auch nicht ihre primäre Aufgabe, sagt Petra Eberle. „Dazu sind meine Trainer da. Aber ich kann immer noch zupacken und ein Bündel Torstangen schultern“, ergänzt sie. Und nicht nur mit dieser Aussage erinnert die Ostschweizerin an eine andere Schweizer Ski-Trainerin mit Rennfahrerinnen-Vergangenheit – an die Flumserin Marie-Theres Nadig.

Als Kind fieberte Petra Eberle vor dem Fernseher mit einer Doris De Agostini mit, später hiessen die Vorbilder Maria Walliser oder Michela Figini. Heute drückt sie Athleten die Daumen, die es (auch) dank der Förderung und Betreuung im NLZ Ost bis in den Weltcup geschafft haben. Einem Ralph Weber zum Beispiel. Einem Sandro Simonet, einem Gilles Roulin oder einem Gian Luca Barandun. „Wenn ein ehemaliger NLZ-Fahrer oder eine ehemalige NLZ-Fahrerin im Weltcup fährt so freut mich das enorm. In erster Linie für die Athletin oder den Athleten selber. Dann aber auch für alle Trainier, sei es für jene im Klub, im regionalen Verband oder im NLZ, die mit dem Rennfahrer oder der Rennfahrerin gearbeitet haben.“ Das gute Verhältnis während der Ausbildung sei dabei keine Einbahnstrasse. Die jungen Weltcup-Fahrer, die vom Alter her die Söhne der Trainerin sein könnten, würden ihre Herkunft nicht vergessen und es mit kleinen oder grösseren Gesten immer wieder danken, sagt Petra Eberle.

Die Arbeit mit jungen Menschen halte sie selber auch jung, hält die NLZ-Leiterin fest. Das heisse aber nicht, dass im Umgang mit dem Nachwuchs Petra Eberles Rolle als Autoritätsperson leiden würde. Es gibt klare Regeln deren Einhaltung sie fordert. Zum Beispiel im Umgang mit Smartphones am Esstisch. „Disziplin und Anstand sind mir wichtig. Ein Händedruck und der Blick in die Augen gehören dazu. Keine Frage, eine erfolgreiche Spitzensportlerin oder ein erfolgreicher Spitzensportler muss ein Schlitzohr sein. Aber auch ein Schlitzohr hat Grenzen zu akzeptieren und muss sich der Konsequenzen bewusst sein, wenn er diese Grenzen überschreitet.“ Der Werdegang zur Rennfahrerin oder zum Rennfahrer sei eine Lebensschule, betont Petra Eberle. Eine Lebensschule, der sie selber so vieles zu verdanken hat und in den nächsten Jahren noch zu verdanken bekommen wird.

Peter Gerber Plech

Skifahren
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